Eindringlich und mehrfach warnte Urs Fischer vor dem Gegner. Wenn ein Trainer das öffentlich tut, ist es oft von der Befürchtung geleitet, der Widersacher könnte unterschätzt werden. Die Furcht ist nicht unbegründet: Zwei Wochen nach dem beeindruckenden Auftritt beim 2:1-Auswärtssieg gegen Serie-A-Leader Fiorentina wartet Lech Poznan, zwar polnischer Meister, aber derzeit Letzter der heimischen Liga. Zudem machten die Basler mit Lech in dieser Saison schon gute Erfahrungen: In der 3. Champions-League-Qualifikationsrunde siegten sie zweimal, 3:1 auswärts und 1:0 daheim.
Fischer kann sich aus der Favoritenrolle natürlich nicht herausreden und will das auch nicht. Sechs Punkte sollen am Donnerstagabend auf dem Konto des FC Basel liegen. «Dann könnte man sicher von einem sehr positiven Start reden», sagte der Zürcher und liess auch durchblicken, dass dies aus seiner Sicht schon ein beachtlicher Schritt Richtung K.o.-Runde wäre. Erschwert wird die Aufgabe beim ersten Heimspiel der Gruppenphase, für das 16'000 Tickets abgesetzt worden sind, durch die zahlreichen verletzungsbedingten Absenzen. Gegenüber dem Spiel gegen Lugano am Wochenende kamen mit Daniel Hoegh und Jean-Paul Boëtius zwei weitere dazu.
Sechs Spieler sind derzeit beim FCB verletzt oder rekonvaleszent. Für Fischer ist klar, dass die vielen Spiele ihren Tribut fordern. Die Partie gegen Lech wird schon die 18. seit Beginn der Saison sein. Selbst wenn mit dem Out in der Champions-League-Qualifikation ein Saisonziel verpasst wurde, ist die Bilanz mit 14 Siegen, 2 Unentschieden und 1 Niederlage herausragend. Auf die erste Niederlage (in Bern gegen YB) reagierten die Basler am Wochenende mit einem Sieg. Es sei wichtig gewesen, auf den Rückschlag eine gute Antwort zu geben, sagte Fischer. Dabei sei nicht die Leistung im Vordergrund gestanden, sondern das Resultat. Die Rückkehr auf die Erfolgsspur, um keine Zweifel zuzulassen, um das Selbstvertrauen zu erhalten.
Fischer sprach die Tabellenlage von Lech Poznan vor seiner Mannschaft nie an. Sie sagt über die Leistungsstärke der Polen, die in ihren Reihen der in Basel und beim FC Basel gross gewordene Darko Jevtic zählen, nicht alles aus. Zum Auftakt der Gruppenphase gegen Belenenses spielten sie immerhin 0:0, und im Spätsommer standen sie gegen den FC Basel nicht auf total verlorenem Posten. Im Rückspiel daheim fiel der Siegestreffer für den FCB erst in der Nachspielzeit. Vom damaligen Auftritt, den er als gehemmt bezeichnet hatte, zeigte Fischer seinen Spielern nochmals Szenen. «Wir dürfen die Partie nicht auf die leichte Schulter nehmen.» An fehlenden Warnsignalen könnte man ein allfälliges negatives Resultat auf jeden Fall nicht festmachen.
Sion: Zerreissprobe statt Festakt
Nach dem Sieg im Startspiel gegen Rubin Kasan reist der FC Sion als Leader der Gruppe B nach Liverpool. Doch ausgerechnet vor dem grössten internationalen Auftritt seit fast 20 Jahren sind die Walliser in einem Stimmungstief.
An die Nacht vom 31. Oktober 1996 an der Anfield Road erinnern sie sich auch in Liverpool zum Teil heute noch. Der FC Sion war zu Gast in den Sechzehntelfinals des Cups der Cupsieger. Die Walliser führten dank Christophe Bonvin und Frédéric Chassot 2:0 und 3:2, schieden aber nach vier Gegentoren in den letzten 25 Minuten doch noch aus. Aber sie waren das erste Gästeteam, dem in Liverpool im Europacup drei Tore gelang. Sie wurden vom Liverpooler Publikum mit einer Standing Ovation verabschiedet. Es war trotz letztlich deutlichem Ausscheiden eine der Sternstunden in der Sittener Klubgeschichte.
Wie der FC Sion sich am Donnerstag von der Anfield Road verabschiedet, ist nicht abzuschätzen. Durch die Hintertür? Mit fliegenden Fahnen? Mit stehenden Ovationen? In grenzenlosem Jubel? Alles scheint möglich zu sein. Der FC Liverpool ist derzeit nicht unerreichbar für die Walliser. Zumal wenn diese in der Lage sind, im entscheidenden Moment über sich hinauszuwachsen wie im Cupfinal gegen den FC Basel (3:0) oder im Startspiel zur Europa League gegen Rubin Kasan (2:1).
Die Frage ist aber, ob Sion derzeit fähig ist, sein bestes Niveau abzurufen. Denn die Walliser sind wieder einmal in eine Krise geschlittert, die nicht bloss auf dem Boden der schlechten Resultate ruht. Vielmehr ist bei den Sittenern die Stimmung grundsätzlich angespannt. Statt eines Festaktes zum Geniessen wird der Auftritt an der legendären Anfield Road zu einer Walliser Zerreissprobe.
Stuhl von Tholot wackelt
Nach dem unerwarteten 0:1 am letzten Sonntag gegen Vaduz platzte Präsident Christian Constantin der Kragen. «Die Spieler müssen sich eigentlich schämen, Lohn zu beziehen», polterte CC los. «Eigentlich ist keiner würdig, in Liverpool das Trikot des FC Sion zu tragen.» Angezählt ist jetzt auch Trainer Didier Tholot. Es ist anzunehmen, dass sich der Franzose nur mit einer guten Leistung in Liverpool oder einem Sieg in St. Gallen am Sonntag im Amt halten kann.
Gänzlich unpassend kommt für die Walliser Fussball-Gemeinde der Streit zwischen Constantin und dem Clan von Topskorer Moussa Konaté. Via dem Westschweizer Boulevardmedium «Le Matin» werfen die Afrikaner dem Sittener Präsidenten vor, eine vereinbarte Gehaltserhöhung nicht zu gewähren. Constantin verweist auf den Vertrag, der eine Aufbesserung der Bezüge erst zum Zeitpunkt einer Verlängerung vorsieht. Constantin ist wütend, Konaté schmollt.
Aus sportlicher Sicht ist nebensächlich, ob nun Constantin geizig oder Konaté in seiner Forderung unverschämt ist. Tatsache ist, dass der Stürmer aus dem Senegal in den letzten drei Pflichtspielen kein Faktor mehr war und gegen Münsingen, die Grasshoppers sowie Vaduz ohne Tor blieb, nachdem er zuvor gegen Rubin Kasan doppelt erfolgreich gewesen war.
Gruppe B
21.05 Uhr: Liverpool - Sion, Rubin Kasan - Bordeaux.
Rangliste: 1. Sion 1/3 (2:1). 2. Liverpool 1/1 (1:1). 3. Bordeaux 1/1 (1:1). 4. Rubin Kasan 1/0 (1:2).
Gruppe I
19.00 Uhr: Basel - Lech Poznan, Belenenses - Fiorentina.
Rangliste: 1. Basel 1/3 (2:1). 2. Belenenses Lissabon 1/1 (0:0). 2. Lech Poznan 1/1 (0:0). 4. Fiorentina 1/0 (1:2).